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StartseiteInfothekUrteileEin gerichtlich beauftragter Sachverständiger darf keine Rechtsfragen beantworten

Im vorliegenden Fall stritten die Trägerin eines Krankenhauses (Klägerin) und die beklagte Krankenkasse um die Erstattung der Kosten für die Behandlung einer Patientin, die das Krankenhaus auf der Basis einer bestimmten DRG („Diagnosis Related Groups“ bezeichnen ein Klassifikationssystem für ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren, mit dem Krankenhausfälle anhand von medizinischen Daten Fallgruppen zugeordnet werden) abgerechnet hatte. Im Verlauf ging es um Streitigkeiten bezüglich der Zuordnung des Patientenfalles zu den korrekten Codierungen.



Das Landesgericht Hildesheim beauftragte in der Folgezeit einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens mit folgenden Beweisfragen:

  1. Welche Erkrankungen und Beschwerden des Patienten lagen in der Zeit der Krankenhausaufenthalte vom 14.07.2009 bis 21.07.2009 vor?
  2. Welche Diagnosen und Prozeduren sind nach den jeweils gültigen medizinischen Klassifikationen ICD und OPS zu stellen?
  3. Welche Haupt- und Nebendiagnosen (vgl. DKR D002f und DKR D003d) sind unter Berücksichtigung aller Untersuchungsbefunde nach Maßgabe der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) entsprechend der festgelegten Falldefinitionen zu kodieren?
  4. Insbesondere: Ist T80.2 zu kodieren?
  5. Welcher DRG ist der Behandlungsfall hiernach zuzuordnen?
  6. Stimmt Ihre Beurteilung des medizinischen Sachverhalts und der daraus folgenden Zuordnung mit den Ausführungen des Medizinischen Dienstes (MDK) der Beklagten oder mit denen des Krankenhauses überein?
    Aus welchen Gründen weichen Sie ggf. davon ab?
    Bitte begründen Sie dies ausführlich und setzen Sie sich dabei eingehend mit den Ausführungen des MDK und des Krankenhauses auseinander.
  7. Welcher Vergütungsbetrag ergibt sich aus Ihrer Zuordnung? Um rechnerische Darlegung wird gebeten.

 

Der Sachverständige reichte daraufhin ein 37 Seiten umfassendes Gutachten ein und legte seinen Stundenlohn mit der im §9 JVEG angegebenen Honorargruppe M3 (Gegenstand medizinischer oder psychologischer Gutachten / Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad; Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen) fest.


Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) des LSG kürzte seine Vergütung auf die Honorargruppe M2, wogegen sich der Sachverständige wehrte und eine richterliche Festsetzung beantragte.


Der Senat hat daraufhin am 14.12.2020 die Beteiligten auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtshof hingewiesen, nach der die einzugebenden Diagnosen und Prozeduren sowie die sonstigen benötigten Sachverhaltsangaben als Tatsachen einem gerichtlichen Beweis zugänglich seien, dagegen jedoch die Anwendung und Auslegung der Kodierrichtlinien als Rechtsfragen einzustufen sind, die keiner weiteren Sachaufklärung zugänglich seien.


Nach Stellungnahme durch den Sachverständigen, welcher der Auffassung war, dass es nicht die Aufgabe des Gutachters wäre, die Rechtmäßigkeit des Gutachtenauftrages festzustellen, entschied das LSG in Senatsbesetzung, dass die Vergütung des Sachverständigen auf 0,00 Euro festgesetzt werde.


Das Gericht stellte fest, dass das LSG den Gutachter fast ausschließlich mit der Beantwortung reiner Rechtsfragen beauftragt hatte (obige Ziffern 2-7).


„Der Sinn und Zweck des Sachverständigenbeweises besteht darin, dass der Sachverständige als Gehilfe des Richters seine besondere Sachkunde zur Verfügung stellt, um aus bestimmten Tatsachen konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen, Kenntnisse von Erfahrungssätzen zu vermitteln oder mit besonderem Fachwissen Tatsachen festzustellen, und dadurch die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts zu erweitern. (…) Für Rechtsfragen lautet der Grundsatz des deutschen Rechtes dagegen „iura novit curia“, also dass der Richter das Recht kennen (bzw. selbständig feststellen), auslegen und anwenden muss.“


Es ist also unzulässig, einen Sachverständigen zur Beantwortung von Rechtsfragen zu beauftragen, da dies Aufgabe des Richters ist, auch wenn ihm hier zuzumuten ist, sich in ein fremdes Fachgebiet einarbeiten zu müssen.


Eine Ausnahme betrifft hier die Tätigkeit eines Sachverständigen zur Feststellung ausländischen Rechts, des Gewohnheitsrechts oder von Statuten.
Eine Zuordnung des Gutachtens zu einer der drei medizinischen Honorargruppen wurde abgelehnt, da sich nur die erste Beweisfrage auf eine medizinische Sachaufklärung bezog und diese lediglich durch eine kurze Wiedergabe des unstreitigen medizinischen Sachverhalts beantwortet wurde.


Das Gericht legte dar, wie sich ein Sachverständiger verhalten muss, wenn er feststellt, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens teilweise überflüssig, überwiegend sogar unzulässig durch ein Gericht erfolgt ist. Er muss das Gericht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 408 ZPO darauf hinweisen und um seine Entpflichtung bitten. Dem Gericht ist es möglicherweise mangels medizinischer Sachkunde nicht möglich gewesen, die fehlende Klärungsbedürftigkeit zu erkennen. Die Pflicht des Sachverständigen, unverzüglich eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen, sollte er Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrages haben, ergibt sich aus §407a ZPO.


Der Sachverständige gab zudem an, dass er bereits mehrere hundert Gutachten zur Anwendung und Auslegung der Deutschen Kodierrichtlinie verfasst habe. Das Gericht ist deshalb der Meinung, ihm müsse als Experte die Rechtsprechung des BSH bekannt gewesen sein, dass die Einholung eines Gutachtens zur Frage der zutreffenden Kodierung unzulässig ist. Statt auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, habe er ein überflüssiges und überwiegend unzulässiges Gutachten erstellt und wollte dies gegenüber der Staatskasse abrechnen. Dies stellt sich als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB dar.



Quelle:
L 7 KO 7/18 (KR) - Sozialgerichtsbarkeit Bundesrepublik Deutschland, 08.03.2021 https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE210005066&st=null&showdoccase=1