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StartseiteInfothekUrteileDarf ein gerichtlicher Sachverständiger zur Bauteilöffnung gezwungen werden?

In der Bewertung von Baumängeln kann es manchmal notwendig sein, eine substanzgefährdende Bauteilöffnung durchzuführen, um strittige Fragen eindeutig klären zu können. Diese Bauteilöffnungen können jedoch für Sachverständige mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden sein, wenn beispielsweise bei einer Untersuchung des Hausfundaments die Horizontal- oder Vertikalsperre beschädigt wird. Diese Risiken können selbst bei fachkundiger Durchführung nicht ganz ausgeschlossen werden.


Im zugrunde liegenden Rechtsstreit ging es um eine Beschädigung eines Einfamilienhauses durch Hochwasser. Die Klägerin behauptete, dass durch den Wassereintritt auch Schäden am Fundament entstanden seien. Die Wohngebäudeversicherung dagegen behauptete, dass lediglich das Haus beschädigt worden sei. Zur Klärung hat das Landgericht ein schriftliches Sachverständigengutachten anfertigen lassen. Bei der Begehung des Hauses hatten sich laut Gutachten keine Anhaltspunkte für eine Beschädigung des Fundaments ergeben. Die Sachverständige lehnte eine Bauteilöffnung in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko ab. Die von der Sachverständigen erforderlich erachtete Bauteilöffnung auf das Risiko der Klägerin hat die Klägerin abgelehnt. Die Klägerin beantragte indes das Gericht, die Sachverständige anzuweisen, die Bauteilöffnung vorzunehmen.


Das Landgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wurde daraufhin ebenfalls abgewiesen vom Oberlandesgericht.


Im Fokus des Urteils des Bundesgerichtshofs steht nun die Aufklärung der Frage, ob das Gericht einen Sachverständigen Weisung dazu erteilen darf, eine solch riskante Maßnahme durchzuführen.
[…] das Gericht [hat] gemäß § 404a Abs. 1, Abs. 4 ZPO von Amts wegen die Pflicht, die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und ihm in diesem Rahmen gegebenenfalls für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen zu erteilen. Damit ist klargestellt, dass der Gutachter Gehilfe des Gerichts ist und ihm vom Gericht vorgegeben werden kann, was rechtlich bedeutsam ist. Das gerichtliche Weisungsrecht umfasst damit […] auch die zur Beantwortung der Beweisfrage erforderlichen Maßnahmen […] (BGH Urteil v. 23.09.2020 - IV ZR 88/19 15 aa)


Das Urteil des Bundesgerichtshofs entschied nun, dass dieses grundsätzliche Weisungsrecht des Gerichts, welches auch die Befugnis umfasst, einen Sachverständigen zu einer Bauteilöffnung anzuweisen, im Ermessen des Gerichts liegt.


Es muss hier der Einzelfall geprüft und abgewogen werden zwischen den Interessen der beweispflichtigen Partei und den Belangen des Sachverständigen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit.


In diesem konkreten Einzelfall bedeutet das: zu einer Bauteilöffnung unter Eingehung unkalkulierbarer (Haftungs-)Risiken braucht das Gericht einen Sachverständigen nicht anzuweisen. Die Klägerin bringt diese Entscheidung nicht in Beweisnot, da sie die Öffnung des Fundaments selbst hätte veranlassen können.


Grundsätzlich ist die Frage nach dem Weisungsrecht jedoch offengeblieben. Das Gericht behält sich hier einen Ermessensspielraum vor.

BGH Urteil v. 23.09.2020 - IV ZR 88/19